Das christliche Jahrhundert in Japan

Nachlese zum Vortrag von Herrn Eichele am 20. Februar 2017.

Warum gibt es in Japan so wenige Christen, wo doch im nahen Nachbarland Korea ein Drittel der Bevölkerung christlichen Glaubens ist? Um diese Ausgangsfrage zu beantworten, musste Herbert Eichele weit ausholen und das Publikum mitnehmen in eine Zeit der europäischen Weltentdecker, wagemutigen Missionare, früher Feuerwaffen
und diplomatischer Missionen, handelspolitischer Verstrickungen, feudaler Loyalität und fester Glaubenstreue.

Trotz der Präsentation einer Vielzahl von Personen und Geschehnisse über den Zeitraum der 100 Jahre des „christlichen Jahrhunderts“ in Japan gelang es dem Referenten, den Faden der Erzählung fest in der Hand zu halten und die Zuhörer in den Bann dieser faszinierenden Epoche europäisch-japanischer Kontakte zu ziehen. Die von Herrn Eichele gelungen in Szene gesetzten zeitgenössischen Bilder leisteten einen wichtigen Beitrag dazu.
Mehr als hundert Jahre vor Lemgos berühmtem Sohn Engelbert Kaempfer waren gestrandete portugiesische Missionare die ersten Europäer, die jemals Fuß auf japanischen Boden setzten. Schnell entwickelte sich eine Verständigung über Sprachgrenzen hinweg. Das Handels- und Missionsinteresse der Europäer voneinander zu trennen, ist schwer. Auf japanischer Seite hingegen spielten politische Erwägungen eine Rolle in der Entscheidung der Landesfürsten auf Japans südlicher Insel Kyūshū, sich selbst und ihre Untertanen zum Christentum zu bekehren. Wie in Europa galt auch hier das Prinzip: cuius regio, eius religio.

Christliches Jahrhundert in Japan

Die portugiesischen Missionare wurden ihrerseits zu frühen Experten für japanische Kultur und schwärmten in Europa von ihren zivilisierten und unvergleichlich gelehrigen Adepten in Fernost. Wenig später entsandten konvertierte Fürsten aus Kyūshū eine erste Mission nach Europa. Acht Jahre sollte die Reise der Japaner dauern, die mit ihren jesuitischen Namen wie Julião Nakaura oder Mancio Itō auch beim Papst Audienz fanden.

Vier Jahrzehnte später wurde Julião Nakaura in seinem Heimatland als Verräter hingerichtet. Was war geschehen? Den neuen japanischen Landesherrschern
war zugetragen worden, dass der Missionierung in vielen Ländern Ostasiens die Kolonialisierung gefolgt war. Manch einer der mächtigen Landeseiniger changierte zwischen Interesse an den fremdartigen hoch gebildeten Missionaren und dem Bedürfnis des Schutzes vor feindlicher Übernahme. Auf Seiten der Kolonialmächte führte unterdessen innereuropäische Konkurrenz zwischen den Handelsnationen dazu, dass in Japan teilweise gegeneinander gearbeitet wurde. Schließlich zog der dritte Tokugawa-Shōgun mit der ihm eigenen Härte den Schlussstrich unter das Christentum in Japan. Das Verbot der Mission und des christlichen Glaubens wurde mit grausamer Bestrafung aller Christen, die sich weigerten, von ihrem Glauben zu lassen, durchgesetzt. Das Festhalten an ihrer christlichen Religion bedeutete für Hunderte Japaner wie Nakaura den Märtyrertod. Doch im Untergrund lebte das Christentum fort, an versteckten Orten und mit versteckten oder ganz ohne christliche Symbole, bis diese „verborgenen Christen“ im 20. Jahrhundert im Zuge ethnologischer Forschungen entdeckt wurden.

Den europäischen, namentlich holländischen Händlern wurde ab 1634 eine kleine künstlich aufgeschüttete Halbinsel in Nagasaki, dem wichtigsten Hafen für Auslandshandel, zugewiesen. Über Jahrhunderte stand daher Nagasaki wie kein anderer Ort in Japan für die Anwesenheit christlicher Fremder.

Im Gegensatz zu der bei Hochzeiten beliebten europäischen Symbolik stellen gläubige Christen in Japan eine Minderheit dar: weniger als einer von hundert Bürgern ist Christ. Die überwiegende Mehrheit bekennt sich zu Buddhismus oder Shintō oder beidem. Eine bedeutende Anhängerschaft haben die sogenannten „neue Religionen“, die mit buddhistischen und shintōistischen Elementen arbeiten. Allen gemeinsam ist, dass sie nicht auf staatliche Unterstützung zählen können. Denn seit der Nachkriegszeit gilt in Japan eine weltweit beispiellos konsequente Trennung von Staat und Religion.

 

Wieder in der Gegenwart angekommen, bereicherte auch die anschließende lebhafte Diskussion alle, die sich auf den Weg zu dieser Veranstaltung gemacht hatten. In der Traditionsgaststätte „Bartsch“ fand der Abend einen Ausklang bei westfälischer Küche und Wein aus der Heimat des Referenten.

Unser Dank gilt Herrn Eichele für seinen faszinierenden Vortrag!